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Der Schmetterling ~ Nr.72

Sonntag, 30. März 2025
Lernen fürs Leben Siegen e.V.

0271-7411-0102  ~  www.lfl-siegen.de

Ins Innre des Menschenwesens
Ergießt der Sinne Reichtum sich,
Es findet sich der Weltengeist
Im Spiegelbild des Menschenauges,
Das seine Kraft aus ihm
Sich neu erschaffen muss.


100 Jahre „Gegenstand“

Zum heutigen Jubiläum ~ Rudolf Steiner † 30. März 1925:

 

Karl Ballmer: Kopf (Rudolf Steiner), um 1928
Öl auf Leinwand, 100 x 60 cm
Aargauer Kunsthaus Aarau, Foto: © Emile Zeizig


Der Maler dieses Bildes, Karl Ballmer, persönlicher Schüler von Rudolf Steiner, setzte sich ein Leben lang öffentlich für die Anthroposophie ein. Allerdings schrieb er 1947 an einen Theologen, „dass ich Ihnen, oder, wenn Sie erlauben wollen, einem ‘Karma’ dankbar bin, für Ihre belehrende Klarstellung, dass es längst nicht an der Zeit ist, kämpferisch für eine Anthroposophie einzutreten, die als von sog. Anthroposophen selbst zu denkender Sinnzusammenhang noch gar nicht da ist.“

Und 1957 stellte er nüchtern fest, es werde im allgemeinen „nicht von ferne geahnt, dass man in Steiner nun endlich einen Gegenstand hat, der aus sich selbst begriffen werden muss (…). Es ist einfach unintelligent, an Steiner irgendwo aufgelesene Kriterien von außen anzulegen.“

Wie sieht es heute aus? „Kontextualisierende“ Wissenschaftler haben mittlerweile beachtliche Forschungen zum Phänomen Steiner vorgelegt. Natürlich: sie strotzen von „Kriterien von außen“. Dann gibt es die diversen Verbandsspitzen der anthroposophischen Bewegung: sie fühlen sich permanent in Zugzwang, auf diese Forschungen, überhaupt auf öffentliche Dinge zu reagieren, und … ach, das mag jeder selbst beurteilen.

Und dann gibt es hunderttausende Menschen, die im täglichen Leben durchaus versuchen „den Gegenstand aus sich selbst zu begreifen“ ~ wenn nicht unbedingt begrifflich, dann mit dem Herzen und im praktischen Wahrnehmen und Tun.


Verliebt in den Weltdurchleuchter

Die Buchbesprechung wurde nach dem Schmetterling-Versand für andere Zwecke umgearbeitet ~ Sie lesen hier die neue Version:

 
Wolfgang Müller
Das Rätsel Rudolf Steiner
Irritation und Inspiration

1. Auflage 2025
250 Seiten
ISBN 978-3-520-91601-3
25,00 € inkl. MwSt.

 

„Steiner und kein Ende!“, so könnte man Goethes Wort zur Shakespeare-Rezeption variieren. Dass eine schon zu Lebzeiten existierende Anhängerschaft binnen 100 Jahren eine stattliche Reihe von Büchern zu Steiner produzieren musste, versteht sich von selbst. Dass aber heute immer noch – oder mehr denn je – „etwas zu sagen übrig ist“, liegt laut Goethe an der „Eigenschaft des Geistes, dass er den Geist ewig anregt“.

Das Sichanregenlassen ist demnach eine Frage zwar von Glück, Bemühung, hauptsächlich aber von Intelligenz („Geist“). Wie geht man klug auf den „Gegenstand“ Steiner zu? Sein Schüler Karl Ballmer stellte 1957 nüchtern fest, es werde im allgemeinen „nicht von ferne geahnt, dass man in Steiner nun endlich einen Gegenstand hat, der aus sich selbst begriffen werden muss (…). Es ist einfach unintelligent, an Steiner irgendwo aufgelesene Kriterien von außen anzulegen.“ Dies Wort in Zanders Ohr!

Wolfgang Müllers Buch hat kaum Werbung nötig. Innerhalb der anthroposophischen Bewegung wird es warm untereinander empfohlen, es trifft hier einen Nerv, auf den ich zu sprechen komme. Außen – eine entspannte öffentliche Debatte über Anthroposophie scheint ja schwierig zu sein – trifft es auf Respekt. Der geradezu hervorstechende Grund ist: Hier schreibt jemand authentisch, aus ehrlichem, persönlichem und zugleich reflektiertem Interesse. Der Gegenstand geht Müller an, seit längerem. „Ahnte“ er beim Daraufzugehen die von Ballmer genannte Bedingung? Er geht jedenfalls in Zielrichtung und Methode ein gutes Stückweit danach vor. Und weil dieses „Begreifen aus sich selbst“ wohl den Kern abendländischer Rationalität ausmacht, im Unterschied zur feuilletonistisch-bequemen Außenperspektive (selbst wenn dort Wissenschaft oder Helmut Zander draufsteht), so ist das Ergebnis rational, und das wird von außen mit mindestens heimlichem Respekt honoriert. Die coole Außen-Methode beeindruckt zwar, bringt selbstverständlich wertvollen Wissenszuwachs und mag zunächst größere Marktanteile erzielen, aber mittelfristig wird auch die akribische, auf weiten Strecken jedoch so sinnarme „Kontextualisierung“ Zanders nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier penetrant der Kern des Steinerschen Denkens vorenthalten wird.

Aber wie in aller Welt kann man überhaupt die Methode des „aus sich selbst“ anwenden bei jemandem, der da als „Geistseher“ vor einem steht? Wo andere sich vor diesem verrückten Anspruch verabschieden, ist Müller intelligent genug, die Grundkonzeption von Steiner zu entdecken, zu prüfen und bewahrheitet zu finden. Unabhängig von jedem Anspruch auf „höheres Wissen“, von einem möglichen Gefälle also vom zu Verstehenden zu mir, von „Übungen“, die ich machen könnte, um etwas „wahrzunehmen“: hier wird rational gedacht und mitgedacht. Das ist Steiners Grundkonzeption, das schreibt er in den Vorworten seiner Bücher, sagt es in Vorträgen. Sollte das Denkenkönnen meines „Gegenstandes“ viel höher, größer oder sonstwas sein, als meinen Möglichkeiten entspricht – darum geht es nicht: ich kann jederzeit anfangen, mitzudenken.

Beim sachlichen Mitdenken mit jemand Anderem macht Müller nun die Erfahrung, dass er von diesem Andern beschenkt wird mit etwas, was er lang gesucht hat. Anthroposophie sei wie ein „ungeladener Gast“ in der modernen Kultur, man werde sie zunächst „unzart“ behandeln, bis man merke, dass sie als Gastgeschenk etwas lang Vermisstes mitgebracht habe – in dieser recht unscheinbaren Aussage Steiners (in zwei öffentlichen Vorträgen in GA 72 sowie als kurze Nachlass-Notiz, im Buch auf S.73) scheint Müller sich wiederzufinden. Und damit spricht er vermutlich vielen Lesern aus der Seele. Denn in der öffentlichen Debatte, wo anthroposophische Verbandsmenschen permanent durch fragwürdige und erfolglose Vorwärtsverteidigungen in Anspruch genommen sind, sind solche zarten und zugleich selbstbewussten Töne sonst nicht zu hören. Wer unterm eingebildeten Zwang steht, in der jovialen Partystimmung sich als vollwertigen, „anerkannten“, eingeladenen Gast zu profilieren, wird den in der Ecke stehenden Fremdling und die leisen Anzeichen des Stimmungswandels in seinem Umkreis kaum wahrnehmen. Müller ist, als zurückhaltender, selbstgenügsamer, empfänglicher „Igel“-Charakter (Kapitel 5), einer der ersten Gäste, die sich dem unbekannten Neuling zuwenden, nämlich mit irgendwie neuen Augen des 21. Jahrhunderts (man muss dies ja nicht sogleich erklären können). Und es tut gut, beim Lesen einen gemeinsamen Blick auf etwas stilles, längst noch zu entdeckendes Wertvolles zu erfahren – plötzlich kann man den Kinderkrankheiten der „Bewegung“ leichtherzig verzeihen: dem allzumenschlich-frivolen Partygehampel genausogut wie dem verständlichen, aber nutzlosen Gemurre, dass darin die anthroposophische Sache verraten und pervertiert werde. Unsere Geschichte mit dem besonderen Gast liegt ja noch vor uns!

Das Angehen ist keine Privatangelegenheit, sondern betrifft eine tiefe „Sehnsucht unserer Zeit“ (S.73). Dass unsere in vielfältigen Krisen festsitzende Kultur und Gesellschaft die Anregungen Rudolf Steiners bitter nötig hätte, arbeitet Müller ohne Zurückhaltung direkt aus dem alltäglichen Augenschein heraus. Solche Bücher als großangelegte leidenschaftliche Hinweise auf das Sinnangebot Steiners gab es ja auch sonst. Ob sie „greifen“, hängt jeweils davon ab, ob Leben und Anthroposophie zur Deckung gebracht werden können. Bei Müller ist dies der Fall, denn jenseits irgendwelcher Partikularinteressen, seien sie beruflich bedingt oder dass man die Anthroposophie als behütendes, „unpolitisches“ Biotop einer „Wellness-Spiritualität“ nutzt, tritt Steiners Angebot hier als universaler, sozusagen größter anzunehmender Sinnentwurf auf. Dazu folgen unten Sätze Müllers, wo klar ist, dass sie Mut erfordern.

Zum Themenprogramm, zur Sprache und Lesbarkeit des Buches nur in aller Kürze: Die Professionalität Müllers (er war ja Medienschaffender) wirkt sich in allen Hinsichten sehr lebendig-frisch-positiv aus, und das schönste: diese Mittel ordnen sich unaufdringlich dem Ziel des Buches unter, in dem seine wirkliche Vitalität liegt: eine besondere Berührung mit Steiner erlebbar zu machen. Ich mache also noch einen Versuch, das Spezifische dieser Berührung zu erfassen (wodurch sich der sonderbare Titel dieser Besprechung rechtfertigen soll) und stelle zu diesem Zweck eine Frage: Ist Müller eigentlich Anthroposoph?

Antwort: Wer so ernsthaft an Steiner herangeht, benötigt diese Selbstdefinition nicht. Auch hier sei Karl Ballmer zitiert: „Die Frage, was ein Anthroposoph sei, bietet nicht geringere Schwierigkeiten als die Frage, was der Mensch sei. Und wie das Leben nun einmal ist: man ist Mensch, bevor man zutiefst weiß, was man ist; – und so ist man vorderhand Anthroposoph, ohne voll verantwortlich sein zu können für die anspruchsvollen Offenbarungen des Wesens Anthroposophie.“

Würde Müller dem zustimmen? Der Grundaussage wohl schon, denn das um Verantwortung ringende Bemühen bei der Weitergabe von etwas, mit dem er längst nicht fertig ist, das Leben im Werden quasi, ist bei ihm auf jeder Seite zu spüren. Jedoch die „Offenbarungen“: entstammt dies nicht der Sphäre der Gläubigkeit, die sicherlich nicht Müllers Sache ist? Verändert man allerdings die Formulierung zu „ … Offenbarungen einer besonderen Persönlichkeit“, was ja kein ungewöhnlicher Sprachgebrauch und durchaus im Sinne des Künstlers Ballmer wäre, dann würde es zu Müller passen.

Denn was er sogleich im Eingangskapitel „Was ist der Kern der Anthroposophie – Dreister Versuch einer Kurzfassung“ herausarbeitet, ist die fundamentale Rolle der Persönlichkeit, des Individuellen, die sich in unserer Zeit nicht mehr hintergehen lässt, auch nicht beim Wiedererwerb von Spiritualität: Anthroposophie will den Menschen „bis ins Letzte wachrufen. Das Individuelle soll selbst Träger des Geistigen werden.“ (S.26) „Das urteilende, nach Einsicht verlangende Ich lässt sich nicht mehr ausschalten.“ (S.25) – Und im vorletzten Kapitel beschreibt Müller nochmal ganz lebensweltlich („Selbstwirksamkeit“) diese Bedeutung des „Ich als Nukleus einer möglichen Selbstermächtigung und Wiederbemächtigung des Daseins“ im Spannungsfeld der „Verwischung des Menschseins“ durch Technik-Belagerung (S.213ff). (Auch dieses Thema Technik-Kritik erfährt durch Müllers authentische Herangehensweise Entspannung und gewinnt dadurch Tiefenschärfe.)

Müller hält sich nicht groß am „Begriff des ‘Geistigen’“ (S.21) auf, der ja nun Steiners Werk durchsetzt wie kein anderer. Die „einstige Selbstverständlichkeit“ dieses Begriffes sei verloren, sagt Müller – und benutzt ihn mit größter, scheinbar naiver Selbstverständlichkeit nahtlos weiter. Damit hat er insofern Recht, als die Anthroposophie explizit „für alle Menschen“ da ist, nicht nur für Philosophen, die den Begriff definiert haben wollten, bevor er benutzt wird. Angemessener für den Steiner-Leser ist, im Sinne der besagten Methode: die Definition aus dem Kontext der jeweiligen Schrift oder des Vortrages herauszulesen. Müller betont jedenfalls, und das ist wichtig, dass „auf diesem Gebiet“ des „Geistigen“ alles Beweisen-wollen ein Unsinn ist, denn wir leben nicht im spiritistischen 19. Jahrhundert. Unser Bedürfnis geht nach tiefer, nachhaltiger Sinngebung (übers Private hinaus), und diese lässt sich nicht durch Beweise herbeizaubern, sondern kann bei Steiner – eventuell – als lebendige, wachsende Überzeugung erarbeitet und erfahren werden (S.23). Und nun erlebt Müller das Steiner-Lesen so:

Was überzeugt, sind weniger seine einzelnen Mitteilungen als vielmehr die Stimmigkeit des Gesamtbildes. Man glaubt die Wirklichkeit im Lichte dieser Anschauungen besser verstehen zu können. Sie haben eine Weltbeleuchtungsfähigkeit.

Da möchte man Müller ermuntern, die „Stimmigkeit des Gesamtbildes“ doch nun konsequent in der Persönlichkeit des Urhebers der Anthroposophie verankert zu sehen. Wo denn sonst? Müllers Hoheslied auf die Anthroposophie mit ihrer „ganz neuen“ Perspektive,

dass die Menschheit bis ins letzte Glied von tieferen Einsichten durchdrungen und durchleuchtet sein könnte (S.27)

und

dass die Weisheit sozusagen bis in die Peripherie zu gehen habe, dass sie im einzelnen Menschen Wurzeln schlagen und wachsen könne,

würde nichts verlieren durch die Klarstellung, wessen Einsichten, wessen Weisheit hier gemeint sein könnte. Im Gegenteil, es könnten ermüdende Missverständnisse vermieden werden, die zu fruchtlosen Diskussionen führen. Denn wie wir keine Spiritisten mehr sein können, so auch keine Platonisten, die die „Weisheit“ irgendwo im Himmel hängen sehen (und sie dennoch stets arrogant nach selbstverzapfter Weisheit „interpretieren“). „Das Individuelle“ ist nicht nur für das Ergreifen, sondern im 21. Jahrhundert auch für das Produzieren von „Weisheit“ zuständig. Müller belässt dies leider im Unbestimmten. Im pessimistisch gefärbten 6. Kapitel arbeitet er heraus, wie unsere Kultur, heute gegenüber Steiners Zeiten noch erheblich verschärft und von ihm vorausgesehen, sich durch Ignoranz selbst „blockiert“ (S.188), weil

eine sinnvolle Weltgestaltung – auf einer persönlichen, aber auch gesellschaftlichen Ebene – völlig unmöglich ist, wenn eine zentrale Dimension der Wirklichkeit ausgeblendet bleibt, eben jene schwer greifbare, aber entscheidende Dimension, die Steiner die „geistige“ nennt. Womit eben nichts Weltfernes gemeint ist, sondern das unsichtbare innere Profil, das „Geistige“, das schon jeder Pflanze und jedem Tier innewohnt (…). (S.178)

Müller beklagt das verbreitete Desinteresse an derlei „immateriellen Realitäten“. Aber vielleicht mag das Interesse eher erwachen, wenn „das Geistige“ nicht einfach als umherliegende „unsichtbare Dimension“ erzählt wird, wie es seit Jahrhunderten der Fall ist. Sondern wenn es als von einem konkreten Menschen hervorgebracht und hergeschenkt erlebt werden kann. Ja, vielleicht ist das Buch insgeheim so gemeint, dass Steiner als Produzent und Eigner der missachteten „geistigen Dimension“ in den Blick kommen soll.

Denn wenn gegen Ende des Buches (S.225) die Wirkung der Anthroposophie zusammenfassend darin gesehen wird, „dass die Welt sich auf eine schwer zu beschreibende Weise reicher und interessanter darstellt“, ist eigentlich das Naheliegendste (und hier kommt meine freche, aber ganz sachlich gemeinte, titelgebende Analogie: wie beim Verliebtsein), dies als die Wirkung eines konkreten einmaligen Menschen zu vermuten. Und wenn Müller im nächsten Atemzug eindringlich die menschheitliche „Notwendigkeit zu einem grundlegenden Umdenken“ auch auf Ebene der Wissenschaften anmahnt, wäre konsequent: genau die entsprechende Denkblockade auch in „Wissenschaft“ zu überwinden. Als geahntes Ziel, zu welchem die Anthroposophie nur „eine Geburtshelferin der mentalen Integration“ ist, schwebt Müller eine umfassende Synthese vor: „Von den uralten religiösen und mysthischen Vorstößen, um gleichsam den Welt-Innenraum, das Herz des Seins zu ergründen, bis zur brillanten präzisen modernen Naturwissenschaft, die sich derselben Welt auf andere Weise nähert – alles könnte sich dann zu einem stimmigen, reich nuancierten Bild fügen, in dem Mensch und Welt sozusagen vom Innersten bis in die Spitzen durchfühlt und durchleuchtet sind.“ (S.233) Wenn dies noch „Wissenschaft“ sein soll (welchen Anspruch Steiners „Gesamtbild“ zweifellos erhebt), muss Wissenschaft sich wohl in genau diesem Punkt bewegen und sich über die Rolle der Persönlichkeit beim Zustandekommen der Wahrheit neue Gedanken erarbeiten.

Betrachtet man das Cover mit dem durchgeschnittenen und über Kreuz auseinandergeschobenen Steiner-Porträt (und einem Nichts in der Mitte), könnte man zunächst vermuten: ein belangloser (für manche nervender) Griff in den Standardbaukasten modern-sein-wollender Grafik-Designer. Es steckt aber mehr dahinter: nämlich die zutreffende Symbolisierung einer verbesserungsfähigen gängigen Steiner-Rezeption – wodurch Steiner eben ein „Rätsel“ ist. Denn vor dem theosophisch-anthroposophischen Steiner gab es bekanntlich den philosophisch-individualistischen. Dieser polemisierte gegen die jenseitssüchtigen Theosophen, bekannte sich zum Universal-„Eigner“ Max Stirner und schrieb Sätze wie: „Die Welt ist Gott. Das Jenseits beruht auf einem Missverständnis derer, die glauben, dass das Dasein den Grund seines Bestandes nicht in sich hat. Sie sehen nicht ein, dass sie durch das Denken das finden, was sie zur Erklärung der Wahrnehmung verlangen.“ Solche Aussagen hat Steiner dann niemals revoziert, allerdings in vielen Fällen später zur besseren Verdaulichkeit für sein theosophisches Publikum umgeformt; doch hat er stets die Einheitlichkeit seines Lebenswerkes betont. Für den oberflächlichen Blick aber sind zwei verschiedene, widersprüchliche Steiner zu sehen. „Kritiker“ schlachten das aus; Anthroposophen tendieren dazu, den frühen Steiner auszublenden, weil sie keine Brücke zum späten erkennen können. Müller liefert immerhin, eingangs seines biographischen Kapitels „Annäherung an einen bekannten Unbekannten“, den bemerkenswerten Gedanken der „Vorbereitung“ als Verknüpfung zwischen den Lebensphasen: Angesichts der bis heute starken Ausstrahlung von Steiners kulturellen Impulsen müsse man fragen:

Wie hatte sich das innerlich vorbereitet, was schließlich einen so ungewöhnlichen, facettenreichen Ausdruck fand? Denn ohne eine tiefere, alle Schichten der Persönlichkeit berührende Vorbereitung ist eine solche Wirkung schwerlich denkbar. (S.39)

Heute ahnen wir, dass viel daran liegen könnte, den einen, in sich stimmigen Steiner zu entdecken – weil er sonst halb bleibt und ein Rätsel. Das Buch führt auf diese Spur, wenngleich es sie nicht ausspricht und die genannte biographisch gemeinte „Vorbereitung“ nur eine Andeutung ist. Diskussionen über die Wissenschaftlichkeit oder Unwissenschaftlichkeit der Anthroposophie (als Basis ihrer Praxisfelder Medizin, Pädagogik, Landwirtschaft etc.) würden weniger sinnfrei sein, wenn man Müllers „Stimmigkeit des Gesamtbildes“ in den Blick nehmen würde – und wenn dazu mit derselben Ehrlichkeit, die Müller sich sonst leistet, endlich auch der frühe Steiner als „Eigner“ gehören würde. Die Vertiefung würde aus einem nervenkitzelnden „Rätsel …“ ein in sich gegründetes „Ereignis Rudolf Steiner“ machen.

Das Cover kann also die an uns hinterlassene Aufgabe symbolisieren, 100 Jahre nach Steiners Tod die Einheitlichkeit eines für andere Menschen rastlos tätigen „Weltdurchleuchters“, für den erstaunlicherweise „das Dasein den Grund seines Bestandes in sich hat“, langsam in den Blick zu nehmen.

M.C.

Solawi Wisserland

Eine Infoveranstaltung von Hof Schützenkampf zur Solidarischen Landwirtschaft (Solawi Wisserland) gibt es am Mittwoch, 2. April 2025, 18 Uhr in Denns Biomarkt in Siegen. Näheres hier.


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