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Der Schmetterling ~ Nr.96

Sonntag, 16. November 2025
Lernen fürs Leben Siegen e.V.

0151-5737-5277  ~  www.lfl-siegen.de

So fühl ich erst die Welt,
Die außer meiner Seele Miterleben
An sich nur frostig leeres Leben
Und ohne Macht sich offenbarend,
In Seelen sich von neuem schaffend,
In sich den Tod nur finden könnte.


Basar, Basar


Plakat Gummersbach

Wir nähern uns den Adventsbasaren in den Waldorfschulen Siegen (Samstag, 29. November 2025) und Oberberg (Sonntag, 30. November 2025), auf denen beiden wir ja vertreten sein werden. Lesen Sie Näheres für Siegen und für Oberberg.


Sucht, Entzug, Verbot, neues Glück, Kindheit im Hier und Jetzt

Wir kommen kaum hinterher mit den vielen Berichten zur Medien-Nutzung insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, und zur Digitalisierungs-Kritik, die wir alle gern verlinken würden. Warum wir das überhaupt wollen? Ganz einfach: Weil es unsere zukünftige Arbeit, die Erreichung unserer Förderziele bei den Kindern, erheblich einfacher macht, wenn im familiären und sonstigen Umfeld gute Voraussetzungen bestehen. Das ist mit Händen zu greifen. Oder anders gesagt: Eine Schul-Initiative, wie wir sie verstehen, ist auch eine Kultur-Initiative. Wir freuen uns, dass wenigstens gewisse Umdenk-Prozesse endlich Platz greifen. Also hier ein paar ausgewählte Hinweise:

Unter die Haut …

… ging das „Theater für Erwachsene“, der „Rattenfänger“ von Michael Ende, gespielt als Ein-Frau-Theaterstück von Monika von Tigerström am letzten Dienstag in der Christengemeinschaft Siegen. Zwei Gründe gibt es für uns, zurückzublicken: Erstens waren einige von unserer Schmetterling-Leserschaft zugegen, und das Erlebnis klingt wohl in den meisten stark nach. Zweitens wünschte man dem Stück wie auch dieser Inszenierung eine weitere Verbreitung! Dies als Empfehlung an unsere überregionalen LeserInnen! 1


Cover

„Das Buch muss ich mir kaufen!“, war in den beiden Pausen mehrmals zu hören. Das Buch ist ein Libretto für eine Oper (der mit Michael Ende befreundete Wilfried Hiller schuf diese dann unverzüglich, 1993). Monika von Tigerström hat die Vorlage umgearbeitet; Musik kommt außer der Flöte des Rattenfängers nicht vor, und überhaupt ist ihre ganze Inszenierung spartanisch, konzentriert, holzschnittartig: umso besser kommt die Dramatik eines gutgebauten, packenden Theaterstücks heraus.

Ähnlich wie bei „Momo“ oder dem „Gauklermärchen“ spürt man vielleicht zunächst geschmackliche Widerstände: Sind das nicht zu platte Gut-böse-Klischees? Atmet das Stück nicht zu viel Wachstums- und Kapitalismuskritik der 80er Jahre? Diese spitzt sich hier extrem zu, oder vielleicht besser: erreicht endlich unsere Ohren? 1993 erklärte Michael Ende den das Geschehen bestimmenden „Rattenkönig“ als „Verfilzung von Macht- und Wirtschaftinteressen im Sinne heutiger Lobby-Arbeit“ 2. Das sind heute eher harmlos klingende Worte! Bestimmt aber dieser Filz so fundamental die Existenz des gesamten Gemeinwesens, spaltet es in Reich und Arm und ruiniert so umfassend die Lebensgrundlagen, wie Ende es schon damals ins Bild der elendig vergifteten mittelalterlichen Stadt Hameln fasste, so erlebt der heutige Zuschauer dies knallhart als den aktuellen „Deep State“, von dem die Verschwörungstheoretiker reden. Die Hamelner Oberschicht hat sich komplett an den Rattenkönig verkauft. Das arme Völkchen ahnt davon gelegentlich etwas, lässt sich aber stets verlässlich ablenken, manipulieren, einschüchtern, binnen-spalten, und fügt sich fatalistisch ins zunehmende Elend. Lässt sich aus dieser erschreckenden, aber banalen Faktenlage ein bewegendes Theaterstück machen?

Das Böse hat hier eine eigenartige Gestalt: Als „Geldscheißer“ (eine Figur „aus dem mittelalterlichen Imaginationskreis“, sagt Ende) beglückt der Rattenkönig die Oberschicht. Michael Ende, zum Ende seiner Schulzeit Waldorfschüler, als Erwachsener der Anthroposophie nicht ganz fernstehend, hat sich auch mit Geldtheorie und Ökonomie auseinandergesetzt. Mag es holzschnittartig sein: das einfach so (durch Selbstumdrehung des Rattenkönigs) produzierte Geld ist ein Problem, bringt haufenweise Unglück. Mit jedem so geschürften Geldstück entsteht ein weiterer giftiger Rattengeist, der zunächst nicht aus der Welt zu schaffen ist. Statt dass das Geld einfach die „Weltbuchhaltung“ regelt, als „das Mittel des gegenseitigen Austauschs der Leistungen“ 3, wird Geld reines Machtmittel 4. Das Böse, der Rattenkönig, ist dabei garnicht niederträchtige Person, sondern eine sich drehende Gott-Maschine, die allerdings Anbetung braucht.

Das Gute dagegen ist nicht so leicht dingfest zu machen. Gewiss sind es die Kinder, die übrigens die Spaltung der Gesellschaft nicht mitvollziehen, reich und arm sind zusammen, und sie retten den Rattenfänger. Die 14jährige Tochter des Bürgermeisters, Magdalena, widersteht der Einbeziehung in den bösen Kultus, hat aber noch nicht die Kraft zur Erwachsenen-Tat, sondern spiegelt ihren Eltern: „Ihr müsst Euch entscheiden, nicht ich!“ Ist der Rattenfänger der Gute? Er entfernt erfolgreich die Ratten. Als Lohn ~ das bleibt dem Volk verborgen ~ fordert er den Rattenkönig selbst, was aber die Oberschicht, obwohl vielen der eingeschlagene Weg höchst ungemütlich geworden ist, auf keinen Fall zulassen kann; sie kann ihre Vergangenheit auf Teufel komm raus nicht revidieren, weil nicht offenlegen. Was hätte der Rattenfänger bewirken können, hätte er den Rattenkönig in seine Gewalt bekommen? Und im Gegenzug: Atela, die Bürgermeisterfrau, verspricht ihrem Mann eine glücklich geregelte Zukunft für Hameln, wenn es ihr gelingt, den schönen Spielmann für ihre Geschäfte einzubinden: Dann könne der herkömmliche Kapitalismus weiterlaufen, und regelmäßig würden die Ratten (die Kollateralschäden) beseitigt. Auch „gute Menschen“ wie ihre Tochter, deren „liebstes Spiel“ es ist, Geld (das aus der Rattenkönig-Quelle stammt) an die Armen zu verteilen, hätten in dieser Gesellschaft ihren Platz. Hätte das funktioniert?

All dies bleibt offen, wie auch das tragische Ende: Es kann nicht wirklich Rache sein, dass der Spielmann die Kinder wegführt in den Calvarienberg. Er gibt ihnen dabei seine Flöte (seine Seele) mit; sich selbst hat er schon ganz verbraucht. Sollte in Hameln einfach nicht mehr der richtige Ort für Kinder sein („Das Verschwinden der Kindheit“)? Dass kurz nach dem Auszug der Kinder das Verderben über die Stadt kommt ~ in Gestalt der namenlos angeheuerten Söldner, die egal für wen die Stadt einnehmen werden ~, hat der Spielmann eigentlich nicht wissen können. Aber es entspricht wohl der inneren Logik, dass eine entseelte Gesellschaft den Krieg anzieht.

Wo sind die Kinder hin? Und wer hätte Hameln retten können, wenn doch die von Natur aus gutherzigen Kinder zusammen mit dem offensichtlich überirdischen Spielmann das nicht schaffen konnten? Die 14jährige Magdalena (sie hat den Spielmann abermals gerettet, indem sie ihm die Flöte wiederbrachte, aber das nützte nichts!) hat es schon vehement ausgesprochen: „Ihr, Erwachsene, müsst Euch entscheiden, nicht ich!“. Vielleicht hat Monika von Tigerström diese Stelle sogar überinterpretiert ~ doch kommt so tatsächlich die Kernaussage des Stückes zur Geltung:

Rudolf Steiner stellte dar, dass Kinder bis zu diesem Alter noch nicht fähig sind, wirkliche Begriffe über Gut und Böse zu haben. 5 Sie sind deswegen darauf angewiesen, dass die Erwachsenen neben ihnen sich „bewusst beschäftigen mit dem, was Gut und Böse ist“. Unterlassen sie dies, „versündigen sie sich an der physischen und geistigen Nachwelt“, wie wenn man eine Pflanze am Blühen und Fruchttragen hindert. Aber diese „Beschäftigung mit Gut und Böse“ kann gerade keine Schematisierung anhand eines Wertekanons sein, mit der man sich selbst seines Gut-seins versichert oder andere als böse identifiziert. Der Quell des Guten kann in unserer Zeit nur das „Ich“ sein. Deswegen verweist Steiner an dieser Stelle (und das passt wiederum zu unseren Ausführungen in den beiden letzten Schmetterlingen) kurz, aber markant auf seine Bücher Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft und Die Philosophie der Freiheit, in denen das, in sehr verschiedener Weise, ausgeführt wird. Das da draußen festgemachte „Gute“ hilft nicht. Ebensowenig muss das Böse da draußen „bekämpft“ werden: in Gegenwart von Magdalena und dem Spielmann schrumpft und erlischt der Rattenkönig einfach, denn das Böse ist ja banal ~ lebt aber darum auch stets wieder auf. Weder das „instinktiv“ gute Handeln der Kinder, so authentisch es auch sei, noch die seelenvolle Hilfe des (nicht sprechen könnenden) Spielmanns können Hameln eine Zukunft geben. Was fehlt, ist das individuell entschiedene und ausgesprochene Gute. Der „ethische Individualismus“ von Steiners „Philosophie der Freiheit“ ist kein Luxus für verstiegene Freigeister; das Handeln aus eigener freier Erwachsenen-Einsicht ist bittere Notwendigkeit. Und die ersten, die es ausbaden müssen, wenn Erwachsene sich dem nicht stellen, sind die Kinder.

Nicht, dass diese aus Steiner herausgelesenen Gedanken nötig wären, um das Stück zu verstehen; sie können es vertiefen. Der Klage- und Weckruf des Stückes ist unmittelbar zu empfinden: Hamelns Erwachsenenwelt hat die Kinder und damit ihre eigene Zukunft im Stich gelassen, weil sie nicht erwachsen sein wollte. Die beiden einzig übriggebliebenen Kinder, der blinde Junge und das lahme Mädchen, rahmen das Stück ein, indem sie mit ihren gebrochenen Stimmen von all den schlimmen Dingen erzählen, die sie gar nicht wirklich benennen können ~ und sie richten am Schluss den Ruf an den einzigen, der jetzt helfen könnte: den Zuschauer.

Michael Ende, den man meist für einen Kinderbuchautor hält, hat mit dem „Hamelner Totentanz“ (so der Untertitel) nach eigenen Worten die bisher inkonsistente mittelalterliche Sage „vervollständigt“. Heraus kommt ein großartiges hochaktuelles Theaterstück „für Erwachsene“, das wir hier souverän von der Alleindarstellerin dargeboten bekommen haben. Sicherlich ist es auch als Spiel für eine 12. Klasse vorstellbar …

1 Es gibt zwar keinen Spielplan im Netz, aber über die Siegener Christengemeinschaft ist sicherlich ein Kontakt herstellbar.

2 Siehe hier zitiert, mit vielen erhellenden Hinweisen von Michael Ende.

3 Siehe Steiners „Nationalökonomischer Kurs“, GA 340 📄.

4 Siehe Steiner am 30. November 1918, GA 186 📄: „Was tun Sie also, wenn Sie selbst nicht arbeiten, aber Geld haben und dieses Geld hingeben und der andere Mensch dafür arbeiten muss? Dann muss der Mensch das zu Markte tragen, was sein himmlischer Anteil ist, und Sie geben ihm nur Irdisches, Sie bezahlen mit nur Irdischem, mit rein Ahrimanischem. Sehen Sie, das ist die geistige Seite der Sache. Und wo Ahriman im Spiel ist, kann nur Untergang entstehen.“

5 Siehe den Vortrag am 3. Juli 1917 (GA 176 📄), besonders ab S.116.

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