Sonntag, 3. November 2024
Pläne sollen Orientierung und Verlässlichkeit ermöglichen, und so dienen auch Lehrpläne dazu, unabhängig vom Wechsel der Beteiligten (SchülerInnen, LehrerInnen, …) einer Schule inhaltliche Kontinuität zu geben. So bestimmt es das Schulgesetz, und es legt auch fest, dass das Ministerium diese Pläne erstellt ~ wobei es durchaus die am Schulleben Beteiligten per Mitwirkung einbeziehen soll.
Das erste ~ die Kontinuität ~ gilt auch für uns als Waldorfschule. Das zweite, die höhere Instanz, sieht bei uns etwas anders aus: Das Schulministerium hat nicht inhaltlich über unsern Lehrplan zu befinden, sondern nur auf dessen Gleichwertigkeit mit den Plänen für die öffentlichen Schulen zu achten. Es gibt auch keinen Verband oder sonstige Institution, von der wir unsern Lehrplan entgegenzunehmen hätten. Eine höhere Instanz kann hier nur im „geistigen“ Sinne gemeint sein: das wäre die Waldorfschul-Bewegung mit ihrem fortwährenden Ringen um einen lebendigen aktuellen Lehrplan. Die Frage „Mit welchen Inhalten kann eine Waldorfschule ihren Kindern eine angemessene Bildung auf den Lebensweg mitgeben?“ muss ja für jede Gegenwart neu beantwortet werden.
Das durch die Zeiten Verbindende liegt aber in einem Prinzip, was Rudolf Steiner in einem Aufsatz „Die pädagogische Grundlage der Waldorfschule“ so umreißt: Die Waldorfschule soll so erziehen und unterrichten,
… dass Lehrziele und Lehrplan aufgebaut sind auf die in jedem Lehrer lebendige Einsicht in das Wesen des ganzen Menschen, soweit dies unter den gegenwärtigen Verhältnissen schon möglich ist. Es ist selbstverständlich, dass die Kinder in den einzelnen Schulstufen so weit gebracht werden müssen, dass sie den Anforderungen entsprechen können, die man nach den heutigen Anschauungen stellt. Innerhalb dieses Rahmens sollen aber Lehrziele und Lehrpläne so gestaltet werden, wie sie sich aus der gekennzeichneten Menschen- und Lebenserkenntnis ergeben.
Die außen lebenden Anforderungen werden also „selbstverständlich“ erfüllt, und zugleich liegt der Kern der Waldorfschule gerade in dem Wie. Bedenken wir: Kognitive Inhalte und Fertigkeiten lassen sich sicherlich so darstellen, dass sie aufeinander aufbauen: um B zu lernen, muss man logischerweise erst A einigermaßen sicher gelernt haben, unabhängig von der Altersstufe; dies hat man als Pädagoge selbstverständlich zu beachten. Aber dieser logische Stufenaufbau ist nicht alles. Wichtig ist: Auf jeder Altersstufe ~ und dies gilt auch für die Kinder auf unserer Förderschule! ~ steht ein Mensch in einem andern Verhältnis zur Welt und zu sich selbst. Steiner nimmt als Beispiele die Umwandlungen um das 7. Lebensjahr und 9./10. Lebensjahr (lesen Sie es nach) und resümiert dann:
Solche Tatsachen der Menschenentwickelung sollen von dem Erziehenden und Unterrichtenden ganz sorgfältig beachtet werden. Denn wenn man in die Vorstellungs- und Empfindungswelt des Kindes hineinträgt, was in einem Lebensabschnitt gerade mit der Richtung der Entwickelungskräfte zusammenfällt, so erstarkt man den ganzen werdenden Menschen so, daß die Erstarkung das ganze Leben hindurch ein Kraftquell bleibt. Wenn man gegen die Entwickelungseinrichtung in einem Lebensabschnitt arbeitet, so schwächt man den Menschen. – In der Erkenntnis der besonderen Anforderungen der Lebensabschnitte liegt die Grundlage für einen sachgemäßen Lehrplan.
Nur wie Blitzlichter kommen dann in diesem lesenswerten kompakten Aufsatz Beispiele zum Lehrplan: Lesen und Schreiben in den ersten Jahren eingebettet in Künstlerisches; die ganz bestimmte Art der Darstellung des Pflanzen- und Tierreichs; später das Mineralreich, die Physik … Lesen Sie es und bekommen Sie ein Gefühl dafür, dass vielleicht hinter der 100 Jahre alten Sprache hochaktuelle Einsichten wirksam sind, wenn der erstaunliche Anspruch der Waldorfschule erhoben wird:
Soll die Waldorfschule die Ziele erreichen, die ihrem Begründer vorschweben, so wird sie auf der hier gekennzeichneten Pädagogik und Methodik aufgebaut sein müssen. Sie wird dadurch einen Unterricht und eine Erziehung geben können, die den Leib des Zöglings seinen Bedürfnissen gemäß sich gesund entwickeln lässt, weil die Seele, deren Ausdruck dieser Leib ist, in der Richtung ihrer Entwickelungskräfte entfaltet wird.
Waldorfschule macht gesund? Ist etwas daran? Dieser Frage ging 2013 eine Untersuchung von Christoph Hueck nach, siehe hier bzw. hier.
Literaturhinweise / Rudolf Steiner:
Zu Entwicklung des Kindes nach Altersstufen:
Die Grundlage der Waldorfpädagogik einschließlich Erstellung des Lehrplans wird entwickelt in den 3 Lehrerkursen bei der Begründung der Waldorfschule (GA = Gesamtausgabe). Die drei Reihen sind inhaltlich miteinander verschränkt: 1 wurde morgens, 2 vormittags und 3 nachmittags gehalten. Der konkrete Lehrplan wird besonders in 2 und 3 entwickelt.
Sekundär-Darstellungen zum Lehrplan (u.a.):
Alle Darstellungen beziehen sich nicht speziell auf den Förderschulbereich, müssen also auf die Gegebenheiten an Förderschulen angepasst werden!
Lesen Sie, wie wir auf den geschilderten Grundlagen unsere Unterstufe, Mittelstufe, Oberstufe und ggf. Berufspraxisstufe konzipieren.